Montage: Onlineprinters GmbH

Das Verlagsgeschäft ist im Umbruch: Während große Zeitungen mit Auflagenverlusten kämpfen, konnten viele kleinere, thematisch klar abgegrenzte Magazine in den vergangenen Jahren beachtliche Erfolge feiern.

Die Herausgabe eines gedruckten Werkes fordert jedoch viel Arbeit – und Geld. Wie es gelingen kann, erzählen Menschen, die das Abenteuer gewagt haben. Eine Warnung vorweg: Reich wird man durch Indie-Publishing nicht – aber glücklich, sich ausdrücken zu können.

Just print it!

„Schon bei der Gründung unseres Designstudios Cin Cin war es eine feste Vorstellung von meinem Geschäftspartner Stephan Göschl und mir, ein eigenes Printmagazin zu machen“, sagt Jasmin Roth, Grafikdesignerin, Mitbegründerin des erwähnten Studios sowie Herausgeberin und Chefredakteurin des Hieb-Magazins, das sich Wien in all seinen Facetten widmet. „Die Idee hat eineinhalb Jahre in unseren Köpfen dahingebrodelt und wir haben sukzessive immer daran gefeilt“, sagt Roth.

2017 kam dann die erste Ausgabe auf den Markt, die mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne produziert wurde. „Wir haben in Wien eine Marktlücke für ein gedrucktes Indie-Stadtmagazin erkannt. Wir wollten mit Hieb ein schönes Produkt herstellen, weil wir wissen, dass es viele Menschen da draußen gibt, die genauso denken“, so Roth.

Das Argument, dass es da draußen Gleichgesinnte gibt, die das Heft kaufen würden, ist mehr als eine romantische Idealvorstellung. Als das Schweizer Magazin Reportagen  2011 auf den Markt kam, wirkte es ungewöhnlich, weil es kein Foto auf dem Cover (oder sonstwo im Heft) gab. Stattdessen lockten ein farbiger Umschlag und eine kantige Serifenschrift den Leser. Das Heft bestand aus sechs Reportagen namhafter Autoren und wollte Bilder im Kopf erzeugen. Man hielt es zunächst für ein Nischenprodukt, dem man wenig Erfolg prophezeite. Das Magazin zählt heute laut Mediadaten knapp 10.000 Abonnenten.

Auch Marko Hanecke hat eine Nische gefunden. In seinem Blog Printelligent schreibt er seit Anfang 2018 für Grafiker, Printbuyer und Print Produktioner online über Wissenswertes aus der Druckbranche. „Ich selbst liebe aber Drucksachen. Zeitungen, Magazine und so weiter sind für ausführliche und tiefergehende Artikel einfach besser geeignet als der Bildschirm. Es gibt weniger Ablenkungen, was zu einer höheren Fokussierung und Auseinandersetzung mit dem Stoff führt“, so Hanecke, der kurzerhand beschloss, eine Zeitung auf den Markt zu bringen.

Der ausschlaggebende Grund war aber eher die Freiheit, zu schreiben, was und wie man will. „Bei einer Online-Veröffentlichung schreibe ich auch für Google – also SEO-relevant. Da diktiert mir eine Suchmaschine, wie ich Texte zu schreiben habe, damit diese möglichst weit oben in den Suchergebnissen auftauchen. Die Textqualität verändert sich hierdurch. Das nervt“, sagt Hanecke. „Ich wollte eine klassische Zeitung im Magazin-Style verlegen. Ich denke, dass die Zeitung ein Comeback erleben wird. Kein Schnickschnack, coole Sensorik, reduziert auf das Wesentliche und umweltfreundlich. Das hat doch was!“, so der Chefredakteur und Herausgeber. „Außerdem ist eine Zeitung günstig herzustellen“, fügt er hinzu. Wie es weitergehen wird, ist jedoch ungewiss. „Vermutlich wird die nächste Ausgabe ein Magazin“, so berichtete es uns Marko.

Make it work!

Von der Idee zum gedruckten Produkt ist es in der Regel ein langer und steiniger Weg. Noch einmal Jasmin Roth vom Hieb-Magazin, die sich an die Anfangszeit zurückerinnert: „Herausgeber eines Indie-Magazins zu sein, hört sich im ersten Moment sehr spektakulär an. Tatsächlich verlangt es aber nach viel Beharrlichkeit und Arbeit.“ Indie-Mags sind selbstinitiiert. In der Regel werden sie von Menschen betrieben, die mit viel Leidenschaft neben ihrem „Brot-Job“ in der Freizeit stetig an der nächsten Ausgabe arbeiten.

Eine große Hürde stellt daher die Finanzierung dar. „Am Anfang dachten wir noch, dass das Magazin zwei oder vier Mal im Jahr erscheinen wird. Dies erwies sich aber schnell – sowohl finanziell als auch vom Arbeitsaufwand her – als unrealistisch“ erinnert sich Roth. Allein die erste Ausgabe hatte insgesamt 28 Beiträge von Externen, was den enormen Abstimmungsaufwand erahnen lässt.

Damit hat auch der Ire Conor Purcell Erfahrung. Nach langjähriger Erfahrung als Journalist sowie Redakteur für nationale und internationale Medien, beschloss er vor wenigen Jahren, eine Reisezeitschrift für seine Heimatstadt Dublin zu machen. Er hatte weder Geld noch grafisches Know-how, setzte sich aber trotzdem hin. Er schrieb Texte, fotografierte mit seinem iPhone und gestaltete die Seiten – es gelang ihm auch, andere Menschen dazu zu bewegen, für ihn zu schreiben. Daraus entstand We Are, eine mittlerweile eingestellte Zeitschrift, die für Dublins Bewohner aber eine willkommene Abwechslung war.

Aus seinen Erfahrungen machte Purcell ein Buch: The Magazine Blueprint ist Ratgeber, Mutmacher und Do-it-Yourself-Guide in einem. Purcell hat zudem die wichtigsten internationalen Indie-Zeitschriften interviewt und gibt im Buch Tipps und Tricks, unter anderem, wie man die Druckkosten eine Spur niedriger gestalten könnte oder wie man Illustratoren in den sozialen Medien findet. „Bei so vielen Online-Angeboten möchten Menschen etwas Greifbares in der Hand haben“, sagt Purcell. Man muss nur das Publikum finden – und daran mangle es nicht, ist Purcell überzeugt.

Just touch it!

Das Greifbare, Haptische, Spürbare, Riechbare – das ist der Ansporn und der gemeinsame Nenner zwischen Produzenten und Konsumenten. Man pflegt als Leser Erinnerungen an das erste Mal, als man eine gewisse Zeitschrift oder Zeitung aufgeschlagen hat und sich vom umwerfenden Layout hat begeistern lassen.

Aber auch als Produzent ist es prägend, zum ersten Mal das eigene Heft in der Hand zu halten. Die österreichische Grafikerin und Herausgeberin des Salt & Wonder-Magazins, Anna Sarcletti, erinnert sich noch dran. Sie kam frisch nach einem Austauschsemester in Lissabon zurück nach Wien und hatte dort all diese Eindrücke und Erfahrungen gesammelt. Sie wollte etwas (da kommt das Wort wieder) „Greifbares“, machen und beschloss, mit einer Freundin eine Zeitschrift zu gründen.

Salt & Wonder sollte sich immersiv mit einer Stadt und seiner kulinarischen und unternehmerischen (am besten einer Kombination aus beiden) Seite beschäftigen. „Ich begann, Interviewpartner zu kontaktieren, Events zu besuchen, wo ich etwas Interessantes entdecken konnte, und Menschen anzuschreiben, die sich in Start-up-Kreisen bewegen“, sagt Sarcletti. Stoff hatte sie dann genug, brauchte aber drei Anläufe, bis es mit der Finanzierung funktionierte. „Ich hörte in der Zeit viele negative Kommentare. Menschen – online wie offline – glaubten nicht, dass es klappen wird“, so Sarcletti. Auf Kickstarter konnte sie mehr als 5.000 Euro (115 Prozent des Finanzierungsziels) sammeln. Sie druckte daraufhin 1.000 Stück. Vom Erlös wollte sie die zweite Ausgabe finanzieren. Erst dann aber begannen sich die wirklich schwierigen Fragen für sie zu stellen. Wie ein großes Team führen? Wo die Zeit neben der Vollzeit-Stelle finden? Und was ist die große Vision der Zeitschrift? Die zweite Ausgabe, die sich der isländischen Hauptstadt Reykjavík widmet, erschien Mitte 2018.

Spread the joy!

Die bloße Produktion eines Heftes ist aber nur ein Teil der Abenteuer. Man muss das Produkt auch unter die Leute bringen. „Baue zuerst dein Publikum auf! Warte nicht bis zur Veröffentlichung, um mit der Suche nach potenziellen Käufern zu beginnen“, sagt Purcell. Er rät, bereits am ersten Tag Social-Media-Konten, eine Website und eine Mailing-Liste einzurichten und allmählich die Stimme der Zeitschrift aufzubauen, während man die erste Ausgabe erstellt. Auf diese Weise hat man Monate später, wenn das Werk in die Druckerei geht, bereits ein Publikum.

Mit dem Vertrieb haben viele Indie-Zeitschriften zu kämpfen. Anna Sarcletti von Salt & Wonder hat einen Webshop aufgebaut, in dem man die Hefte bestellen kann. Zudem werden ihre Hefte über Plattformen verkauft, die sich auf den Handel mit Indie-Zeitschriften spezialisiert haben, wie die Schweizer Plattform Lorem not Ipsum. In Wien dagegen hatte sie wenig Erfolg, Läden zu finden, wo sie ihre Zeitschriften auslegen konnte. „In dem Mode-Shop Volta konnte ich auslegen, habe dort aber nur fünf Hefte verkauft“, sagt sie. Dafür hatte sie in England, Schweden, Portugal und Deutschland mehr Erfolg.

Eine ähnliche Vertriebsstrategie verfolgt auch Hieb. „Das Magazin wird im Eigenvertrieb verkauft. Der persönliche Aufbau einer Vertriebsstruktur passt im Moment besser als ein großer Vertrieb, ist aber sehr zeitaufwändig“, so Chefredakteurin Jasmin Roth. „Dennoch arbeiten wir in Wien bereits mit 16 Vertriebspartnern zusammen und liegen auch in Hamburg und Zürich aus“ fügt sie hinzu. Ein Problem ist, dass es in Österreich praktisch keine Indie-Magazin-Szene gibt. „Daher ist es auch nicht unkompliziert, einen Markt dafür zu erschließen“. Erschwerend kommt hinzu, dass es in Österreich eine Art „Gratiskultur“ in Bezug auf Magazinen gibt. „Man muss die Menschen erst mal davon überzeugen, dass sie für ein Magazin bezahlen sollen“, sagt Roth. Ein erster Schritt in dieser Richtung sei es, Bewusstsein zu schaffen. Daher hat Roth mit Gleichgesinnten den Hieb-Magazin-Club gegründet, um eine Community rund um das Thema Indie-Publishing in Österreich aufzubauen. Das könne nicht nur helfen, Menschen vom Wert einer gedruckten Zeitschrift zu überzeugen, sondern auch eine blühende Indie-Magazin-Kultur in Österreich aufzubauen. Bedarf wäre da – und Potenzial auch.

Marko Hanecke von Printelligent sieht das ähnlich: „Die Generierung von Reichweite ist sicherlich eine echte Herausforderung. Ohne große Budgets braucht es viel Zeit, um eine ausreichend große Leserschaft aufzubauen. Aber ich sehe auch viele Vorteile gegenüber den klassischen Verlagsstrukturen. Die Kosten sind deutlich geringer, ich kann viel flexibler, unabhängiger und mutiger agieren“.

Don’t hesitate!

Wer jetzt Lust bekommen hat, sein eigenes Magazin zu produzieren, sollte sich jedoch im Klaren darüber sein, was er sagen und wen er ansprechen will. Conor Purcell gibt zum Abschluss einen wichtigen Ratschlag: Die Zielgruppe sollte so genau wie möglich definiert sein. „Ein Magazin über Fußball ist zu breit, ein Magazin über rothaarige Menschen, die den FC Bayern München unterstützen, ist zu eng, aber ein Magazin über die Fankultur in der Bundesliga mag gerade richtig sein“, so Purcell. Alles (Preis, Format etc.) ergibt sich aus dem Publikum, das man ansprechen möchte, sagt der Experte. „Ich würde jeden ermutigen, es zu wagen“, sagt Purcell.

Die Magazine im Überblick