Juma Al-Joujou ist bereits eine Art Veteran in dem harten Geschäft der unabhängigen Brettspiel-Herstellung. 2013 entwickelte er „Pretty Ugly“, ein satirisches Kartenspiel, das Mode-Shows parodierte. Ein Jahr später legte Al-Joujou nach: „Ich habe während meines Masterstudiums Innovation Management & Entrepreneurship über eines meiner Lieblingsbrettspiele meiner Jugend nachgedacht, nämlich über ‚El Grande‘.“ Er überlegte, was ihm an dem Spiel gefällt und was nicht. „So entwickelte ich dann ‚Green Deal‘, ein Brettspiel, das durch ‚El Grande‘ inspiriert war, aber am Ende doch ganz anders geworden ist“, erzählt Al-Joujou. Ungefähr zu dieser Zeit gründete er zusammen mit Partnern auch den Eigenverlag Karma Games, der sich auf die Entwicklung von Brettspielen spezialisierte.

2015 brachte das Unternehmen „Fette Ernte“ heraus, ein Kartenspiel für die gesamte Familie. Zwei Jahre danach verbuchte Karma Games einen außergewöhnlichen Erfolg: „Clans of Caledonia“, ein strategisches Brettspiel über Whiskey und Handel angesetzt in Schottland. Am 25. April 2017 startete die Crowdfunding-Kampagne dazu auf Kickstarter. Al-Joujou und sein Team haben 29.000 Euro für die Entwicklung veranschlagt. Das Spiel erhielt die gewünschte Finanzierung innerhalb von drei Stunden. Am Ende der Kampagne, dem 18. Mai 2017, waren 391.288 Euro zusammengekommen.

Der wachsende Brettspielboom

Der Markt für Brettspiele wächst weiter, 2017 wurde in Deutschland laut Hermann Hutter, Vorsitzender des Spieleverlage e.V., ein Gesamtumsatz von über 500 Millionen Euro für Gesellschaftsspiele und Puzzle erzielt. Ein Wachstum von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Noch vor zehn Jahren lag der Umsatz nach Angaben des Branchenverbandes deutlich unter 400 Millionen Euro. Der Aufschwung in den vergangenen Jahren könnte damit zusammenhängen, dass die Gameliebhaber das Digitale satthaben und nun (wie Musikliebhaber mit der Schallplatte) wieder zum Analogen zurückkehren. „Die Menschen sehnen sich wieder danach, mehr Zeit mit ihren Freunden zu verbringen. Online fehlt einfach der soziale Kontakt – und den brauchen wir Menschen nun mal, um glücklich zu sein. Ein besseres Medium als Gesellschaftsspiele gibt es dafür kaum“, erklärt Frank Noack, Mitbegründer von Corax Games, einem kleinen deutschen Verlag, der Brett- und Kartenspiele produziert.

Umsatz von Gesellschaftsspielen und Puzzeln – Anteil der Spielkategorien 2017 (Quelle: Hermann Hutter, Vorsitzender des Spieleverlage e.V.)

Die sogenannte Brettspiel-Renaissance lebt also weiter. Sie findet aber nicht nur in den großen Märkten statt, sondern auch abseits des Mainstreams. Wenn man sich auf Kickstarter, der Spieleschmiede von Spiele-Offensive.de (die wichtigste deutsche Crowdfunding-Plattform für Gesellschaftsspiele) oder ähnlichen Crowdfunding-Plattformen umsieht, findet man etliche sowohl nationale als auch internationale Kampagnen, die sich finanzielle Unterstützung für Brett-, Karten-, und Puzzlespiele erhoffen. Frank Noacks Corax Games gehört, wie Al-Joujou’s Karma Games, zu den vielen kleinen Firmen, die versuchen, das Geschäft mit innovativen Ideen aufzumischen. Mal ist es die Thematik und mal ist es die Spielmechanik, die sich total von der Konkurrenz abhebt. Die Zahl der unabhängigen kleinen Firmen, die spannende, neue Spiele herausbringen, wächst. Der Erfolg von Spielen wie „Clans of Caledonia“ geben auch anderen Mut.

Spielbrett und Verpackung von Clans of Caledonia (Karma Games)

Spiele müssen komplex sein und Spaß machen

Spielmechanik als Schlüssel

Teil des Erfolges dieser Spiele liegt in ihrer Komplexität, denn die fehlt nicht selten in den Mainstream-Brettspielen der großen Hersteller. „In ‚Clans of Caledonia‘ gibt es neun verschiedene Clans, die dem jeweiligen Spieler starke und einzigartige Fähigkeiten geben, die kein anderer Spieler hat“, erklärt Al-Joujou von Karma Games. Es ist ein Spiel, das Strategie, Geschicklichkeit und ein wenig Glück verlangt. Der Entwickler erinnert sich: „Es war ein langer und aufwendiger Prozess, der viele Testpartien erforderte.” Aber auch der Designprozess war zumindest so komplex wie die Spielmechanik.Ferner achtete Al-Joujou darauf, das Spiel einerseits so elegant und einfach wie möglich und dennoch historisch korrekt zu gestalten. „Bei der Spieleentwicklung fängt man, je nach Inspirationsquelle, bei der eigentlichen Spielmechanik oder auch beim Thema des Spiels an. Die Mechanik ist aber immer das, woran redaktionell am meisten gearbeitet wird“, erzählt auch Noack. Denn in aller erster Linie müsse das Spiel Spaß machen und die Mechanik sei der Schlüssel dazu. „Sie muss knifflige und spannende Aufgaben stellen. Der Spieler soll eine spannende Entscheidung nach der anderen treffen können. Hat man diese gefunden, muss sie meistens noch ausbalanciert werden, damit sie für alle beteiligten Spieler fair ist“, erklärt Noack den aufwendigen Prozess der Spieleherstellung.

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Cover von Half-Pint Heros (Corax Games)

Design als wichtiger Erfolgsfaktor

Neben der Mechanik ist auch gutes Design wichtig. Das kann auch Frank Noack bestätigen. Sein Unternehmen hat das Spiel „Half-Pint Heroes“, ein kompetitives Stichspiel mit Kneipenthema, entwickelt. Es spielt in einem gemütlichen Pub, in dem gerade die Stimmung zu kippen droht. „Es ist der Moment, bevor eine Schlägerei losbricht. Jedes grafische Detail im Spiel unterstützt das“, erklärt Noack. Auf jeder Karte ist eine andere Illustration – jeweils total stereotype Charaktere, die unterschiedliche Personen repräsentieren, die man so in einer Kneipe treffen könnte. Darunter findet man auch etliche Easter Eggs, beispielsweise versteckte Hinweise auf berühmte (verstorbene) Musiker oder bekannte Spieleautoren.

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Set Ansagekarten von Half-Pint Heroes (Corax Games)

Einen ähnlichen Weg gingen auch Sebastian Thoma und seine Kollegen von Thoughtfish. Das kleine Unternehmen hat „Fightlings: The Card Game“ in analoger Form herausgebracht, nachdem es zuvor als App gut angekommen war. „Wir wollten ein Universum erschaffen, das mit unserem verbunden, aber gleichzeitig einzigartig ist. Dabei haben wir uns angeschaut, wie verschiedene Kulturen die Realität wahrnehmen. So haben wir uns zum Beispiel bei einigen unserer mystischen Designs von Symbolen afrikanischer Stammeskulturen und amerikanischer Ureinwohner inspirieren lassen“, erklärt Thoma das Design.

Sample Cards von Fightlings: The Card Game (Thoughtfish)

Crowdfunding unabdingbar

Spiele wie „Fightlings“, „Clans of Caledonia“ oder „Half-Pint Heroes“ würde es ohne finanzielle Unterstützung von Privatpersonen nicht geben. Die Produktionskosten sind nach wie vor zu hoch, als dass kleine Unternehmer sie alleine stemmen könnten. „Eine der größten Änderungen ist mit Sicherheit das verstärkte Aufkommen von Crowdfunding-Plattformen wie zum Beispiel Kickstarter oder die Spieleschmiede. Dadurch ist der deutsche Brett- und Kartenspielmarkt nochmal stärker internationalisiert worden“, sagt Thoma von Thoughtfish.Crowdfunding gehört für Corax Games sogar zum Geschäftskonzept. Für jedes ihrer Spiele wird auf der Spieleschmiede eine Kampagne gestartet. Als Ziel für „Half-Pint Heroes“ hatten sie sich 4.444 Euro gesetzt und haben dann 21.547 Euro zusammen bekommen. „Erst durch die Einnahmen aus diesen Kampagnen gelingt uns in vielen Fällen eine Anschubfinanzierung für die Projekte, die wir angehen. Sie subventionieren quasi die Produktion mit, sodass die Spiele später auch zu sinnvollen Preisen an den Handel abgegeben werden können“, erklärt Noack. Vor Kurzem gelang es ihnen für das Spiel „Chronicles of Crime“ auf der Spieleschmiede 57.290 Euro zu sammeln.

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Cover von Chronicles of Crime (Lucky Duck Games, Corax Games)

Schaut man sich auf der deutschen Plattform um, fällt auf, dass 187 von 203 Projekten (Stand Juli 2018) dort ihre gewünschte Finanzierungssumme sammeln konnten. Eine mögliche Erklärung dafür hat Juma Al-Joujou: „Die Erwartung an tolles Spielmaterial und damit auch die Bereitschaft für hochwertiges Material deutlich höhere Preise zu bezahlen, ist bei Kunden deutlich gestiegen.“ Von seinem Spiel „Clans of Caledonia“ konnte er über 7.500 Stück verkaufen, 6.500 Stück davon gingen an seine Kickstarter-Unterstützer. „Mittlerweile ist das Spiel auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Chinesisch, Koreanisch und bald auch noch auf Russisch sowie Polnisch verfügbar. Das ist wirklich ein absolut außergewöhnlicher Erfolg, der es mir ermöglicht, in Vollzeit Karma Games zu betreiben und das Unternehmen zu vergrößern“, so Al-Joujou.

Neue Chancen für kleinere Spieleverlage

Die Geschichten von Thoma, Noack und Al-Joujou zeigen exemplarisch, wie wichtig Crowdfunding-Plattformen sind. Man kann sie als „Befreiungsmechanismus“ sehen, denn erst durch sie haben auch kleinere Spieleverlage die Möglichkeit, ihre teils außergewöhnlichen Visionen vom Design hin zur Spielemechanik zu verwirklichen und ihre Zielgruppe zu erreichen. Diese Entwickler beziehungsweise Hersteller helfen dabei, die Spiele-Vielfalt auf dem Markt zu vergrößern. Es bleibt nur noch abzuwarten und zu beobachten, in welche visuelle Welt sie die Spieler als Nächstes entführen.

Kleiner Nachtrag: Die spielerische Kneipenschlägerei geht in die nächste Runde. Noch bis Mitte August 2018 läuft eine Crowdfunding-Kampagne zur Erweiterung „Half-Pint Heroes: Happy Hour“ auf der Spieleschmiede. Das Finanzierungsziel von 5.555 Euro ist bereits erreicht, ein weiterer Erfolg für den kleinen Spieleverlag Corax Games.

Quellen
Hermann Hutter, Vorsitzender des Spieleverlage e.V.
Juma Al-Joujou von Karma Games
Frank Noack von Corax Games
Sebastian Thoma von Thoughtfish

Aufmacher und Grafikdesign: Redaktion
Grafikinhalt: Spieleverlage e.V.
Bilder: Karma Games, Corax Games, Thoughtfish, Lucky Duck Games und Corax Games